Darmstadt – da geht noch mehr!

Wir wollten Freunde besuchen fahren: im Rodgau und im Odenwald. Was lag näher als die Stadt, die wir sowieso durchqueren mussten, auch noch ein bißchen anzuschauen? Darmstadt – als alte Hessen haben wir die Stadt natürlich im Schulunterricht hoch und runter gekaut, aber viel war zumindest bei mir nicht hängengeblieben. Eigentlich gar nichts – die Mathildenhöhe war mir natürlich bekannt, weil ich Jugendstil mag, aber mehr? Fehlanzeige! Also los! Schauen wir, was es da sonst noch gibt.

Donnerstag, 20. 0ktober Darmstadt

Zuerst aber blieben wir noch vor den Toren der Stadt. Das Gut Oberfeld war uns von unserer Freundin ans Herz gelegt worden, ein Integrationsbetrieb mit großem Bio-Supermarkt und Hofcafé. Wir parkten ein wenig außerhalb und schauten uns zuerst noch die Kühe auf der Weide und die riesigen Kühställe an, in denen die Tiere sich auf einer dicken Einstreu frei bewegen konnten. Einige Schulkinder wurden herumgeführt und schauten sich alles ganz genau an. Genauso im Versuchsgarten, der gegenüber lag: da wurden die ganz zutraulichen Hühner von Kindern gefüttert, andere sammelten Walnüsse auf – Schultag auf dem Bauernhof. Wir überquerten die Straße und kamen zum eigentlichen Hof.

Wir gingen auf einem Rundkurs einmal durch das ganze Gelände. Die Gebäude lagen um eine große Wiese und einen großen Garten herum. Im Sommer herrschte hier bestimmt eifriges Leben, aber jetzt war Herbst und es war sehr ruhig. Obwohl gerade ein neues Wohnhaus für Menschen mit Behinderungen gebaut wird, störte der Lärm kaum, weil irgendwie eine große Ruhe über dem Gelände lag.

Zum Schluß gingen wir noch in den Hofladen, einen total modernen Bio-Supermarkt,den man hier wirklich nicht erwartet hätte, und ins Hofcafé. Dort tranken wir eine heiße Schokolade und labten uns an einem überaus leckeren Elisenlebkuchen , völlig überflüssig – wir hatten ja schließlich gerade gut gefrühstückt -, aber was sein muss, muss sein. Nicht, dass uns irgendwann die große Schwäche überfällt.

Dann fuhren wir weiter auf die Mathildenhöhe, dem Jugendstilzentrum Darmstadts. Die Mathildenhöhe ist eine Erhebung (also praktisch ein kleiner Hügel) am Rande der Darmstädter Innenstadt und nach Mathilde von Bayern, der Gemahlin von Großherzog Ludwig dem Dritten, benannt. Im 19. Jh. war dies nämlich die Gartenanlage des großherzoglichen Hofes. Wesentlich wurde das Ganze aber erst mit Beginn des 20. Jh., als sich dort die Darmstädter Künstlerkolonie jugendstilmäßig austobte (anders kann man es nicht nennen). Die Mathildenhöhe Darmstadt ist seit Juli 2021 UNESCO-Weltkulturerbe, also einmalig auf dieser Welt. Die Hauptgebäude und die drei einzelnen Häuser gruppieren sich um die orthodoxe Kirche, die dort kurz vorher entstanden war. Das sehr beeindruckende Hauptgebäude kann ich euch leider nicht zeigen, da es momentan eine einzige große Baustelle ist. Es war schwierig genug, drum herum zu fotographieren.

Eines der Hauptgebäude war das „Atelier-Haus“, wo die Künstler ihre Ateliers hatten und auch der große Gemeinschafts- und Festsaal war. Vor dem sehr schönen Eingang (meine Meinung) standen die großen Figuren „Kraft und Schönheit“ bzw. „Mann und Frau“. Bedenke, wir befinden uns im Jahr 1901.

Das Wahrzeichen Darmstadts ist der Hochzeitsturm, den der einzige Architekt unter den Künstlern, Joseph Obrich, 1908 fertigstellte. Er war ein Geschenk der Stadt Darmstadt zur Erinnerung an die Hochzeit des Großherzogs Ernst Ludwig mit Prinzessin Eleonore zu …. (das könnt ihr vergessen!). Das Besondere sind die fünf Bögen des Daches, die an eine ausgestreckte Hand erinnern, weshalb er auch Fünf-Finger-Turm genannt wird. Der Zusammenhang zwischen den fünf Fingern einer ausgestreckten Hand und einer Hochzeit eröffnet sich mir nicht so schlüssig, muss vielleicht aber auch nicht, schließlich gehöre ich einem anderen Jahrtausend an.

Jetzt kommen wir zum Höhepunkt unserer Stadtbesichtigung: Ich hatte in der Vorbereitung gelesen, dass Darmstadt – man höre und staune! – ein Hundertwasser-Haus besitzt: die Waldspirale. Ein Hundertwasserhaus- es gibt bestimmt etliche, aber wenn man eines sehen will, fährt man natürlich nach Wien. Das – wahre und einzige- Hundertwasser-Haus befindet sich in der Hauptstadt Österreichs und wird von jedem Touri-Bus angefahren. Vergesst es einfach! Fahrt doch nicht so weit! Kommt einfach nach Darmstadt in der Mitte Deutschlands! Ich habe beide Häuser innerhalb von zwei Jahren gesehen und sage euch: Das Größere und auch Schönere steht eindeutig in Darmstadt! Es liegt in einer ganz normalen Siedlung und hat – den Albrechts sei Dank – einen Aldi dahinter, mit großem Parkplatz!

Wir näherten uns der Sache also von hinten, aber das machte in diesem Fall überhaupt nichts aus. Durch zwei Tunnel und durch die als Gärten mit einem künstlichen Fluss und einem Spielplatz gestalteten Innenhöfe kamen wir zur Straße.

Besonders schön gestaltet fand ich die Eingänge zu den einzelnen Teilhäusern, denn der Komplex ist wirklich riesig: ein Wirklichkeit gewordenes Märchenschloss mit 105 Appartments. Leider kann ich das Gebäude nicht von oben fotographieren, da kann man die Waldspirale richtig erkennen, ich habe ein Bild davon gesehen, es sieht genial aus.

Wir waren an diesem Tag in den deutschen Herbstferien die einzigen, die dort herumkrochen und sich für das Gebäude interessierten. Und wenn ich an den Run denke, den ich in Wien erlebt habe, mit Andenkenläden und einem Hype sondersgleichen, kann ich nur sagen: Darmstadt, da geht aber noch einiges! Andererseits… so ist es ein ganz normales Wohnhaus, in dem ganz normale Menschen wohnen, die vielleicht mal ihre Ruhe haben wollen… und ganz normal bei Aldi einkaufen wollen – auch nicht schlecht!!!