Ich muss mal wieder raus – zu sagen, mich hält nichts zu Hause, wäre gelogen. Mein Garten hält mich schon sehr, beschäftigt mich jetzt im Juni Tag und Nacht, nachdem ich ihn im Mai so vernachlässigt hatte. Aber trotzdem – ich muss mal wieder raus – wenn auch nur für ein paar Tage.
Mein Bruder, jetzt auch Rentner, hat sich einen Pössl-Bus gekauft und erzählte uns begeistert von einem Campingplatz am Mittelrhein, wo er tagelang gewahrschaut hat. Dieses Wort gehörte bis dahin weder zu meinem passiven und schon gar nicht zu meinem aktiven Wortschatz. Ein Warschauer ist der Bewohner einer Stadt in Polen und, wenn man weit in die Vergangenheit zurück greift, gab es Warschauer früher beim Bäcker zu kaufen. Was man aber damit tagelang am Mittelrhein macht, war mir ein Rätsel. Wahrschau – ihr bemerkt die unterschiedliche Schreibweise, die man leider bei einer Erzählung nicht hört – ist ein System von Signalanlagen am Mittelrhein, mit denen auf einem 7 km langem Rheinstreifen die Schifffahrt geregelt wird. Dort an der Loreley ist bekannterweise der Rhein sehr eng, sehr schnell und sehr kurvig und auch jetzt, nachdem man alle Felsen innerhalb des Flusses gesprengt hat, immer noch sehr gefährlich. Deshalb regeln dort fünf Signalanlagen den Schiffsverkehr. Vom Campingplatz kann man zwei davon sehen und den Schiffsverkehr beobachten. Bruder meint, das wäre extrem entschleunigend. Und damit genau das, was ich nach einem verlängerten Fronleichnamswochenende mit meinen geliebten Saarbrückern (Sohn, Schwiegersohn und zwei kleine Enkel) brauche.
Sonntag, 19. Juni
Beim Campingplatz Loreleyblick kann man sich nicht anmelden und er hat keine Dauercamper, die einem die erste Reihe zum Fluss versperren. D.h. man kann mit etwas Glück einen Platz ganz vorne bekommen, was die Schiffsbeobachtung natürlich erheblich erleichtert. Dank Bruder`s Rat am frühen Sonntag Nachmittag anzukommen, hatten wir Erfolg: genau gegenüber der Loreley, 1. Reihe, zwei Ampelanlagen im Blick, 29 Grad Celsius, leichter Wind – das Wahrschauen kann beginnen.
Und ich kann nur sagen: Genial! Für Leute wie wir, die nicht an einem überbordenden Bewegungsdrang leiden: Einfach genial! Du sitzt da im Schatten deines Wohnwagens mit einem kühlen Weinchen und die ganze Welt um dich herum bewegt sich: die Schiffe auf dem Rhein, die zwei Eisenbahnen, die hier links und rechts des Flusses in Tunnel einfahren und wieder rauskommen, okay, die Autos sehen wir natürlich auch, aber auch die Menschen unten am Fluss und oben auf der Loreley – es ist wie im Miniatur Wunderland in Hamburg, nur in echt! Und du tust: Nichts! Das ist Entschleunigung pur. Ich liebe es! Danke, Bruder!
Montag, 20. Juni
Als ich kurz nach sieben Uhr am nächsten Morgen aufwachte, fiel mir zum ersten Mal auf, wie laut die Schiffe waren, die auf unserer Seite entlang fuhren. Die ganze Nacht über hatte es mich überhaupt nicht gestört, ich hatte super geschlafen. Gut, ich bin natürlich inzwischen auch schon ziemlich schwerhörig. Also, für geräuschempfindliche Menschen ist der Campingplatz nichts. Aber Ruhe haben wir ja zuhause, die brauchen wir im Urlaub nicht unbedingt. Aber leider regnete es und lt. meiner App auch noch geraume Zeit. Die Gärtnerin in mir jubelte, die Urlauberin war weniger begeistert. So brachen wir gegen 10 Uhr auf, um im 4km entfernten Oberwesel mal nach dem Rechten zu schauen. Und wir fanden auch ganz schnell das Rechte (Richtige): den Pfarrgarten der Pfarrkirche St. Martin. Er gehört heute zu den Welterbe-Gärten des Unesco-Welterbes Mittelrhein, nun ja, für meinen Geschmack gehörten in einen Welterbe-Garten schon ein paar mehr Blumen, aber darüber lässt sich streiten.
Auf jeden Fall hat man von dem Garten aus einen wunderbaren Blick auf Oberwesel und das Rheintal. Das ist unbestreitbar.
Auch die Pfarrkirche St. Martin ist durchaus sehenswert. Sie besteht aus einem unverputzten mächtigen Turm, der einst zur Stadtbefestigung gehörte, was man ihm auch ansieht, und einem weiß verputzten Kirchenschiff. Mehr haben wir uns von Oberwesel am heutigen Tag nicht angeschaut, wir waren ja schon mehrmals dort gewesen, und ich kann nur sagen, es ist immer einen Aufenthalt wert.
Den restlichen Tag mussten wir wieder wahrschauen, relaxen, entschleunigen. Die Gegend lädt wirklich dazu ein. Abends gingen wir noch ein bißchen mit dem Hund spazieren, einmal die Loreley umrunden und dabei fanden wir diese schwere Bronzeplatte. Was ist denn das?
Dienstag, 21. Juni
Nebel steigen aus dem Fluss, von der Loreley ist nichts zu sehen, als ich morgens aus dem Wohnwagen schaue. Aber schon zwei Stunden später – als Ewald aufwacht!- strahlt die Sonne vom Himmel herunter, so dass wir draußen frühstücken können und schon ein bißchen wahrschauen gemäß dem Leitspruch: Wahrschauen am Morgen, vertreibt Kummer und Sorgen.
Dann starteten wir zu einem Ausflug nach Boppard. Ich wollte immer schon mal wissen, was es mit dem Vier-Seen-Blick auf sich hat. Da fährt ein Sessellift rauf: Ich liebe Sessellift! Und einen Traumblick soll man während der Fahrt auch haben. Meine Vorfreude fiel in dem Augenblick zusammen, als wir aus dem Auto stiegen – zu dritt: Ewald, ich und Lucy. Bei diesem Anblick war klar: Sesselliften fällt aus! Wir haben einmal versucht, mit einem Vorgänger-Hund Sessellift zu fahren. Es wäre beinah tödlich geendet, und zwar nicht nur für den Hund! Also wieder hinein ins Auto und 2 km auf einer winzigen Straße zuerst durch das Mühltal und dann durch den Wald. Das Sträßchen wirkte teilweise richtig alpin und am Ziel waren wir grad mal auf 230 m!
Wir gingen zuerst die paar Meter zum Vier-Seen- Blick. Man glaubt es nicht, aber es stimmte wirklich. Von genau diesem Punkt aus wirkte die Rheinschleife wie in vier kleine Seen – nun ja, es waren mehr Teiche – aufgeteilt. Das Handy hat es leider nicht so gut fotographiert, aber mit dem bloßen Auge war es gut erkennbar.
Dann gingen wir noch 300 m in die andere Richtung um am Gedeonseck die Rheinschleife in ihrer vollen Pracht zu bewundern. Im Gastgarten des dortigen Restaurants nahmen wir dann noch einen Kaffee zu uns; es war traumhaft, so hoch über dem Rhein zu sitzen. Die Züge und Schiffe bewegten sich wie Spielzeuge tief unter uns. Trotz fehlendem Sessellift ein durchaus gelungener Ausflug mit zwei Traumausblicken.
Unser 2. kleiner Ausflug des Tages – nach einer langen Ausruhphase! – führte uns nach St. Goar; wir wollten mit der dortigen Autofähre fahren. Das Kind in mir will immer alles fahren, was möglich ist. Vom Campingplatz nach St. Goar ist ein kleiner, aber feiner Weg am Rheinunfer entlang. Durch das Niedrigwasser des Rheins hatte sich eine wunderbare Sandbank gebildet, auf der sich einige Menschen sonnten und ein paar Kinder im seichten Uferwasser planschten. Es sah aus, wie an einem fernen Sonnenstrand, nur mit viel hübscherer Umgebung. Dennoch sahen wir es mit leichtem Unbehagen, denn die Strömung des Rheins ist bekanntlich unberechenbar und immer wieder tödlich, aber die Einheimischen werden wohl wissen, was möglich ist und was nicht.
Die Autofähre zwischen St. Goar und St. Goarshausen ist die weit und breit einzige Möglichkeit, den Rhein zu überqueren- In Koblenz gibt es Brücken und die nächsten dann wieder in Wiesbaden/Mainz. Mit 84 brückenlosen Kilometern stellt der Rhein an dieser Stelle einen europaweiten Rekord dar. Dementsprechend wird die Fähre auch gut genutzt und fährt von morgens früh bis spät in die Nacht. Und auch Lucy durfte diesmal Fähre fahren, sogar kostenlos!
Und so kamen wir nach St. Goarshausen. Nur ganz ehrlich: Was macht man da? Die Rheinpromenade soll sehr schön sein. Nun ja! Wir spazierten ein wenig auf ihr herum, um uns dann ganz schnell unter ein paar Sonnenschirmen, die uns schon von der anderen Seite aufgefallen waren, niederzulassen und einen Aperitiv zu uns zu nehmen. Ewald war mutig und nahm einen „Rheinfels Spzial“- Überraschungsdrink – und …. den Mutigen gehört die Welt: Es war überaus lecker mit Campari und einem Zitroneneisbällchen. Ich durfte einmal probieren! Meinen Aperol Sprizz hatte ich allerdings schon öfter besser getrunken.
In der Abenddämmerung fuhren und gingen wir wieder zum Campingplatz zurück. Unser schöner Kurzurlaub nähert sich dem Ende. Morgen früh werden wir wieder entspannt nach Hause zurückkehren. Die zwei Tage relaxen und wahrschauen haben es wirklich gebracht.