Im Vogelsberg – entlang der Deutschen Fachwerkstraße

„Nein, nein, nicht schon wieder! Ich merke es doch: Ihre Stimmen sind ein bisschen höher als sonst, ihre Kaffeepausen ein bisschen kürzer, ihre Schritte ein bisschen schneller. Immer nur ein bisschen, aber ich merke es natürlich doch: Es geht wieder los! Vorsichtshalber lege ich mich schon mal in den Flur… nicht dass ich das mag, die kalten Platten anstatt meinem schönen Sofa im Wohnzimmer… aber nicht, dass sie mich vergessen…. nicht, dass das schon mal vorgekommen wäre, aber man weiß ja nie…. sie vergessen ja oft jede Menge und müssen dann zurückfahren… auf jeden Fall bin ich schon mal da, wenn es wieder los geht …. spätestens morgen, ich merke das!“ (Originalton Lucy am 13.8.23)

Montag, 14.8.23 Romrod
Wir lassen uns viel Zeit morgens mit dem Aufbruch, denn wir haben es diesmal nicht weit: 200 Kilometer : ins Oberhessische wollen wir, den hessischen Teil der Deutschen Fachwerkstraße erkunden. Ewald hat es sich gewünscht, er wollte einmal all die Orte kennenlernen, die er in der Hauptschule gelernt (und nie vergessen), aber auch bis heute er nie gesehen hatte. Und so werden wir – irgendwo muss man ja anfangen – den Vogelsberg bereisen. Die erste Schwierigkeit schon: Campingplätze sind recht dünn gesät in dieser Gegend, die nicht gerade ein touristisches Highlight darstellt. Also ganz ehrlich, es war überhaupt keine Auswahl da, von daher fiel uns die Entscheidung für den Naturcampingplatz Heimertshausen leicht. Es hatte auch keinen Sinn, sich die Laune durch das Lesen von Beurteilungen verderben zu lassen, nur dieser eine Platz war möglich. Und es war auch gar nicht soooo schlecht: Am Ende der Welt, Totenstille (selbst mit Hörgerät!), eine leicht hügelige Landschaft … ja, wir rätselten hin und her, wie man das beschreiben kann, und blieben bei dem Wort „sanft“ hängen. Wir waren kaum auf dem landschaftlich schön gelegenen, aber etwas heruntergekommenen Campingplatz angekommen, als eine große Entspannung uns befiel und wir relaxed in unseren Campingstühlen herumhingen. Also ich hing herum, Ewald war gestresst, weil das WLAN nicht funktionierte, aber wer kann schon erwarten, dass am Ende der Welt das Internet funktioniert.
Nach dem Abendessen rafften wir uns aber doch noch einmal auf und fuhren ins 4 km entfernte Romrod, wo es eine sehenswerte Burg/Schloss geben sollte (sagte die Hinweistafel auf der Autobahn). Und ich kann nur sagen: Stimmt, durchaus sehenswert. Es war früher eine Wasserburg gewesen, heute ist im Burggraben ein netter Park angelegt mit einem schönen Naturteich, eine gute Möglichkeit, die mittelalterliche, wunderbar renovierte Burg zu umrunden. Leider waren wir schon etwas spät dran, so dass das wuchtige Burgtor bereits verschlossen war, aber der Spaziergang durch den Park gab uns doch einen guten Eindruck von der Burg und der daneben liegenden evangelischen Kirche. Mein Eindruck: extra hinfahren muss man nicht, aber wenn man zufällig in der Gegend ist wie wir: durchaus sehenswert!

Dienstag, 15.8.23 Alsfeld

Da unser Campingplatz nur 10 Kilometer von Alsfeld entfernt liegt, dachten wir uns: “Fangen wir doch da mal an.“ Ist vielleicht nicht die klügste Entscheidung, mit dem wahrscheinlich schönsten Ort anzufangen, aber die Gegebenheiten sind nun mal so. Fachwerkmäßig gesehen (und so wollen wir auf dieser Tour ja die Welt sehen!) ist Alsfeld wahrscheinlich der Traum eines jeden Denkmalpflegers. Seit 1975 ist sie Europäische Modellstadt (steht auch stolz an der Autobahn!) für den Denkmalschutz im historischen Stadtkern. „Alsfelds mittelalterlicher Stadtkern, einst eingerahmt durch einen ovalen Mauerring mit vier Stadttoren und bebaut mit vielen kleinen Fachwerkhäusern, schlichten Bürgerbauten und städtischen Monumentalgebäuden an engen und winkligen Gassen, an kleinen und größeren Plätzen, bestimmt das Bild einer Stadt, die zu den einprägsamsten und charaktervollsten Städten Hessens zählt.“ Ich finde, dieser Satz aus dem Stadtführer fast alles zusammen, was über Alsfeld zu sagen ist. Genauso haben wir es erfahren und gesehen. Ewald wäre am liebsten in jede noch so kleine Gasse hineingekrochen, Fachwerk fasziniert ihn ungemein und das war hier überall gegenwärtig.
Wir fanden sofort einen schönen Parkplatz, in der Sonne zwar, aber man kann ja nicht alles haben, und gingen die Obergasse zum Marktplatz hinunter. Schon das war mehr ein Stehen und Betrachten der vielen kleinen Fachwerkhäuschen, die sich hier aneinander reihten. So erreichten wir den Marktplatz, den Mittelpunkt Alsfelds. Wow, kann man da nur sagen. Wirklich schön!

Am meisten hat es uns natürlich das Rathaus angetan, das zu Recht als eines der bedeutendsten deutschen Fachwerk-Rathäuser gilt. Das Fachwerk steht auf einem spätgotischen steinernen Unterbau, in dem früher der Markt stattfand. Das hat uns besonders gut gefallen: Man konnte sich noch genau vorstellen, wie hier das Markttreiben geherrscht hat.

[/su_row] Nach diesen Anstrengungen (hahaha!) mussten wir uns erst einmal mit einem Eisbecher auf dem Marktplatz stärken. Währenddessen schauten wir uns in Ruhe die einzelnen Gebäude an und lasen in dem kleinen Stadtführer die Bedeutung. Über 200 Jahre Bausubstanz war an diesem Ort versammelt, vom frühen 16. Jh. bis ins 18. Jh. hinein, schon sehr eindrucksvoll. Besonders gut gefiel uns noch das steinerne Hochzeitshaus aus der Renaissance mit seinen Erkern, Giebeln und Portalen und das gegenüberliegende Stumpf-Haus, das das frühste Alsfelder Fachwerkhaus mit Schnitzwerk ist, an der linken Ecke steht der Bauherr Jost Stumpf in zeitgenössischer Tracht.

Danach gingen wir noch lange durch die kleinen Gässchen und bewunderten die Gebäude; Ewald war besonders von dem Märchenhaus fasziniert, in dem auf zwei Stockwerken die Zimmer nach einzelnen Märchen der Gebrüder Grimm eingerichtet sind. Ganz besonders sticht das Neurath-Haus heraus, ein mächtiges viergeschossiges Patrizierhaus mit einer wunderbaren Renaissance-Haustür. Sowie das Minnigerode-Haus, das einzige Bürgerhaus aus Stein, das ein imposantes Portal mit wunderbaren barocken Steinmetzarbeiten hat. Dieses Portal mit diesem süßen Löwen hat es mir besonders angetan.

Also: Alsfeld – wirklich wunderbar und absolut sehenswert. Macht einen Abstecher für eins/zwei Stunden, wenn ihr auf der Autobahn daran vorbeifahrt. Kann ich nur empfehlen.

Am Abend machten wir noch einen kleinen Spaziergang um den Antrift-Stausee bei Angenrod. Nachdem ich bemerkt hatte, dass Komoot nicht nur wahnsinnige Radwanderungen für die Fitten vorschlägt, sondern durchaus auch Spaziergänge für Schwächlinge wie uns, bin ich davon ganz begeistert. 5 Kilometer auf ebener Strecke, das schaffen sogar wir! Und es war sehr schön!

Mittwoch, 16. August 23 Lauterbach

„In Lauterbach hab i mein Strumpf verlor`n und ohne Strumpf gang i net ham“, ein Zitat aus dem allen Hessen bekannten Lauterbach-Lied, von mir niedergeschrieben, die keine Ahnung von oberhessischem Platt hat, aber ich denke, ihr könnt den Sinn entnehmen. Platt kann man ja sowieso nicht schreiben, sondern nur sprechen. Also nach Lauterbach wird es heute gehen, auch nur 20 Kilometer von uns entfernt.
Lauterbach liegt an der Lauter, wenn wundert`s! Und auf dieses nette kleine Flüsschen, gerade dem Bachstadium erwachsen, stießen wir auch relativ schnell, nachdem wir dem Auto entstiegen waren, gingen ein Stückchen daran entlang, bis wir auf den Ankerturm, der wie alle diese Türme früher Feuerwache und Gefängnis war, stießen. Darunter entlang kamen wir über eine Treppe zum Marktplatz mit einigen hübschen Fachwerkhäuser und der Marktkirche.

In diesem Stil könnte ich jetzt unseren Rundgang weitererzählen. Es war alles irgendwie nett, aber auch ein bisschen langweilig. Es gab einige Fachwerkhäuser, aber nur an einer einzigen Stelle eine wirklich geschlossene Fachwerk-Häuserzeile, nämlich Am Graben. Die Lauterbacher Burg der Familie Riedesel war höchstens ein Herrenhaus, einzig das Stadtpalais Hohhaus, das war wirklich hübsch, allerdings kaum zu fotografieren, da sie genau davor das Pflaster aufreißen mussten (Baustelle!). Es gibt Dinge, die ich beim besten Willen nicht verstehe: da hat ein Ort wirklich nichts Wesentliches zu bieten und auf dem Platz vor dem einzigen, wirklich schönen Gebäude rattern die Baumaschinen in der Urlaubszeit… als ob es keine andere Zeit im Jahr für diese Baustelle gäbe!

Aber wirklich hübsch war es unten an der Lauter. Da trafen wir sie nämlich, die Figur, die für jeden Hessen (und wahrscheinlich sogar weit darüber hinaus) für alle Zeiten mit Lauterbach verbunden sein wird: den Lauterbacher Strolch, also den, der da seinen Strumpf verloren hat (s. oben). Ein dralles, kleines Kerlchen steht da im Wasser der Lauter, nichts an als einen Strumpf, aber dafür einen Regenschirm in der Hand und eine Botanisiertrommel umgehängt. Also auf so etwas muss man erst man kommen.

Aber von vorne, die Story ist nämlich wirklich interessant: Ursprung ist wohl eine Erzählung von einem wandernden Strumpfverkäufer, der in Lauterbach für den Winter untergekommen war. Als er aber im Frühjahr weiter ziehen wollte, war seine Vermieterin, die wohl über die kuscheligen Wintermonate etwas mehr geworden war, darüber so erbost, dass sie ihn samt seinen Sachen aus dem Haus warf. Und über diese Aktion muss wohl ein Strumpf irgendwo verloren gegangen sein. Aus dieser Geschichte wurde irgendwann ein Bänkelsänger-Lied und 1898 war da, vom Lauterbacher Malermeister Julius Siemsen erdacht, plötzlich dieses Kerlchen, zuerst auf einer Ansichtskarte und dann …. und das war der Clou: auf der Packung des ersten deutschen Camemberts, der zufällig in Lauterbach hergestellt wurde: der Lauterbacher Strolch! Und den hatte nun mal wirklich jede Familie in den 50/60ger Jahren auf dem Abendbrot-Tisch gehabt, also zumindest alle, die Käse aßen wie Ewalds und meine Familie. Also echt, eine erstaunliche Story, aber gut …. wie das Leben halt so spielt! Aber den wirklich erstaunlichen Moment finde ich, wieder einmal, an einer völlig anderen Stelle: Wie kann jemandem bei dieser Ursprungsgeschichte ein praktisch nackter, kleiner Junge mit Regenschirm und Botanisiertrommel einfallen? Es geht doch um einen verlorenen Strumpf!!! Und nicht um das Verlieren jeglicher Kleidung außer einem Strumpf. Als Kunstlehrerin würde ich sagen: Thema verfehlt! Ich könnte mir dazu alle möglichen Darstellungen vorstellen, aber diese, die dann ihren Siegeszug durch Deutschland angetreten hat, wäre mir wahrscheinlich niemals eingefallen. Aber ich denke, sie traf damals den Zeitgeist, anders kann ich mir das nicht erklären. Heute würde niemand mehr ein nacktes Kind als Markenzeichen nehmen, schon gar nicht für einen Camembert.

Donnerstag, 17. August 23 Feldatal und Homberg an der Ohm

Es gibt nicht nur Fachwerkhäuser und Fachwerk-Rathäuser im Vogelsberg, es gibt sogar Fachwerk-Kirchen. Und auf die Suche nach ihnen wollten wir uns heute begeben. Wollten wir eigentlich gar nicht. Eigentlich wollten wir nach Homberg/Ohm, als wir das Straßenschild sahen: Feldatal 12 Kilometer. Da fiel mir ein, dass ich etwas über Fachwerk-Kirchen in Feldatal gelesen hatte. 12 Kilometer – das war ja ein echtes Angebot! Nur besteht Feldatal – wie alle Gemeinden hier – aus unzähligen Dörfern und Feldatal-Ermenrod lag dann doch fast 20 Kilometer weit weg, aber der Weg hat sich gelohnt. Wir fanden nämlich nicht nur eine, sondern sogar drei dieser Kirchen in verschiedenen Ortsteilen.

Die Story dahinter geht so: Philip von Hessen, der Großmütige genannt (ich hatte im ganzen Leben noch nichts von ihm gehört, aber Ewald war er natürlich bestens bekannt (Hauptschulbildung!), war ein glühender Verehrer Martin Luthers und ein ebenso eifriger Verfechter des Protestantismus. Er erlaubte seinen Untertanen, wenn der Weg zu weit für den sonntäglichen Kirchgang war, in ihrem Dorf eine eigene Kirche zu bauen, sofern sie sie selbst bauen und unterhalten konnten. Der steinreiche Vogelsberg war eine arme Gegend, aber waldreich und sie hatten gute Zimmerleute. So hieß die Lösung: Fachwerk! Und so entstanden in der Barockzeit in Mittelhessen keine großartigen Barockkirchen mit üppigen Formen und großartiger Ausschmückung, sondern kleine, inzwischen liebevoll restaurierte Fachwerkkirchen. Mit ihrem schlichtem Charme und ihrer Einfachheit haben sie Ewald und mir wesentlich besser gefallen als ihre großartigen Schwestern.

Danach ging es nach Homberg/Ohm, einem etwas verschlafenen Städtchen (noch verschlafener als Lauterbach!), sogar Aldi hat seine Filiale dort geschlossen. Aber ein großartiges Rathaus haben sie, das muss man ihnen lassen, auf einem so winzigen Marktplatz, dass es den Namen kaum verdient. Ansonsten – ja ansonsten haben sie noch ein Schloss auf einem Schlossberg.

Von unten sah man nichts, also mussten wir hinauf, zumal man von oben einen wunderbaren Rundblick auf das Amöneburger Becken haben soll. Das zumindest stimmt! Aber ein Schloss….? Es gibt Ruinen und es gibt Herrenhäuser, die sich als Schloss tarnen (Lauterbach!), aber das ….. Seht selbst.

Aber es gab einen wunderschönen Kräutergarten, nette Sitzmöglichkeiten, eine kleine Bühne, einen großen Gemüsegarten und noch eine Vielzahl von Kleintieren, die von der dortigen Kita versorgt werden. Also irgendwie doch reges Leben in diesem anscheinend toten Gemäuer. Dieses Schloss gehört nämlich den Bürgern von Homberg. Ein Bürgerverein „die Schlosspatrioten“ erreichten, dass die Stadt Burg und Gelände kaufte und es seinen Bürgern schenkte, die seitdem mit unendlich viel Arbeit versuchen, es nach 50jährigem Leerstand wieder zu neuem Leben zu erwecken. Dass das nicht von heut auf morgen geht, ist klar. „Wir lieben, was wir tun!“ ist das Motto der Gemeinschaft. Und was mit so viel Liebe gemacht wird, wird irgendwann gelingen, da bin ich mir sicher.

Freitag, 18. August 23 Fritzlar

Ewald bestand darauf, dass wir nach Fritzlar fahren müssten. Fritzlar – sagte mir erst einmal überhaupt nichts (s. Fehlen einer guten Hauptschulbildung!), außerdem war es eine Stunde Fahrt, also viel zu weit, aber Ewald ließ nicht locker. Und siehe da, wir waren noch auf der Autobahn, da lag Fritzlar vor uns im Sonnenschein, der Dom hochaufgerichtet in der Mitte, ja, das war schon ganz akzeptabel. Guten Parkplatz sofort gefunden und hinein ging es in die Altstadt und zum Marktplatz: Und auch hier, wie in Alsfeld, ein geschlossenes Fachwerkensemble, traumhaft, und in der Mitte der Rolandsbrunnen, sehr sehenswert. Besonders gut gefiel uns das große Haus in der Mitte mit den großen Rundbogenfenstern, ein wahrhaft stattliches Fachwerkhaus.

Vom Marktplatz ging es durch kleine Gassen am Rathaus vorbei zum Dom. Davor steht eine große Bonifatius-Statue. Fritzlar ist nämlich die Bonifatius-Stadt. Wieso denn das? Das ist doch Fulda. Tja, in Fulda ist er natürlich begraben. Aber in Fritzlar hat er seine große Tat begangen, die den Ruhm seiner Missionstätigkeit bei den Chatten begründete. Dort stand nämlich eine dem Kriegs- und Wettergott Donar geweihte Eiche, die Bonifatius im Herbst 723 fällte und aus dem Holz eine erste kleine Kapelle errichten ließ an der Stelle, an der heute der St. Petri-Dom steht. Fritzlar war der Ausgangspunkt für die Missionierung des gesamten hessischen und thüringischen Raumes. Da sage noch mal einer, das wäre keine wichtige Stadt!

An einem weiteren großen Fachwerkhaus, dem Hochzeitshaus, vorbei, gingen wir zur der nächsten Attraktion, dem Grauen Turm.

Fritzlar hieß im Mittelalter „Stadt der Türme“, sie hatte 7 Stadttürme und weit übers Land verstreut 24 Warten. Der graue Turm war die Zentrale der städtischen Befestigungsanlage. Hier waren die Soldaten stationiert, die in ständigem optischem Kontakt mit den Warten rings um Fritzlar standen. Wir gingen einen Teil der Stadtmauer entlang, die heute noch fast vollständig erhalten ist, und kamen noch an zwei Zwillingstürmen vorbei, dem Greben- und dem Rosenturm. Die beiden Türme haben ihren Namen von den Menschen, die in der anliegenden Straße wohnten. Der Grebe war der Inhaber der niederen Gerichtsbarkeit; der Name Rose deutet darauf hin, dass in dieser Straße die Bäder waren und die Prostituierten wohnten. Auf Schritt und Tritt findet man in Fritzlar Schilder, die einem das Leben im Mittelalter genau erklären. Das hat uns sehr gut gefallen, da es uns viele Fragen beantwortete, die uns immer schon mal so gekommen sind und wo selbst Google nicht unbedingt die Antwort wusste.

Samstag, 19. August Gedern
Samstag verlegten wir unseren Standpunkt 50 Kilometer weit nach Süden an den Gederner See, diesmal ein großer Campingplatz mit allen Vor- und Nachteilen. Nicht mehr die totale Ruhe und Relaxen, dafür aber einen See, eine Gaststätte, ein Kiosk, WLAN. Nichts ist perfekt auf dieser Welt!

Sonntag, 20. August Bad Salzhausen

Nun der eigentliche Grund, warum wir im Vogelsberg weilen und nicht an der Ost/Nordsee. In Bad Salzhausen ist am Sonntag Hundeausstellung und wir suchen doch immer noch nach einer Stamm-Mutter für unsere kommende Bolonka Zwetna-Zucht. Nun ja, die Hundeausstellung war schnell erledigt. Es hätte uns klar sein müssen, dass Hunde, die mit dem Buchstaben B anfangen, als erste dran kommen. Als wir um halb elf mal langsam erschienen, war das meiste schon vorbei. Man lernt halt immer noch! Aber wir hatten trotzdem die Möglichkeit mit allen möglichen Menschen zu sprechen und uns viele neue Adressen von Züchtern aufzuschreiben.

Um so schneller waren wir dann in dem wunderschönen Kurpark von Bad Salzhausen. Es war heiß, wie momentan jeden Tag, und wir genossen es, unter den schönen alten Bäumen spazieren zu gehen.

Lange saßen wir an der dortigen Saline. Es war so meditativ, das leise Tropfen des Wassers zu hören und die Tropfen mit den Augen zu verfolgen. Und wir waren überzeugt, dass diese wunderbar salzige feuchte Luft Ewald bestimmt bei seiner Bronchitis hilft (wenn er sie denn jeden Tag genießen würde und nicht nur einmal!).

Schließlich fanden wir bei der Stahl-Quelle (es gab auch noch eine Lithium- und eine Schwefel-Quelle in dem Park – Gott sei Dank, hatten wir keine Gefäße dabei, um das Wasser zu genießen) ein nettes Cafè, das seine Tische unter den dortigen Kastanien aufgestellt hatte. Das war bei dem heißen Wetter wunderbar kühl und super leckeren Kuchen hatten sie auch noch. Wir blieben lange dort!

Montag, 21. August 23 Ulrichstein und Hoherodskopf

Es war so heiß, es war so unglaublich heiß! Und wir wieder einmal nicht rechtzeitig aus den Puschen gekommen. Als wir Ulrichstein anliefen, war es schon fast Mittag und die Sonne brannte vom Himmel. Was genau wir in Ulrichstein wollten, wusste ich dann auch nicht mehr so genau: Es gab da eine Burgruine, von der aus man einen traumhaften Blick in den Vogelsberg haben sollte. Also, seitdem wir hier herumfahren, haben wir dauernd traumhafte Ausblicke, aber der vom einzigen bestehenden Turm der Ruine sollte es auch noch sein. Und wir schafften es, den steilen Basaltkegel hinauf …. fast schafften wir es…. Bis ein Wespennest uns den Weg auf den letzten Treppenstufen versperrte. Und vor Wespen, zumal in Massen, habe ich ja Respekt. Also gab es halt nur den traumhaften Ausblick nach der einen Seite unseres Aufstiegs.

Nächster Punkt auf unserer Besuchsliste war der Hoherodskopf. Mit seinen 764 Höhenmetern ist er zwar nur der zweithöchste Punkt des Vogelsberges (der benachbarte Taufstein nimmt ihm den Höhentitel mit 773 Metern ab), aber dafür ist er mit ca. tausend touristischen Hightlights gespickt: Sommerrodelbahn, Klettergarten, Adventure Golf (das hieß bei uns früher schlicht: Minigolf), Baumkronenpfad, alles da. Wir fanden an einem stinknormalen Montag gegen Mittag schon keinen Parkplatz mehr, so dass wir kurz davor im Wald parkten und durch einen wunderbar kühlen Buchenwald aufwärts liefen, danach war uns dann trotzdem nicht mehr kühl. Auf der Berghütte fanden wir noch zwei schattige Sitzplätze und nahmen erst einmal je einen halben Liter Apfelwein (natürlich gespritzt) zu uns und danach eine unglaublich leckere Wurstplatte. Dann ging es zügig wieder zurück zum Auto, denn Menschenaufläufe in jegwelcher Art sind einfach nicht mein Ding. Geplant war danach eigentlich ein Spaziergang über die Bergmähwiesen, die sich zwischen Hoherodskopf und Taufstein befinden und die in ihrer Artenvielfalt einmalig sein sollen in Westeuropa. Aber es war schlichtweg zu heiß, um sich auch nur 5 Meter über eine offene Wiese zu bewegen. Das fand auch die große Schafherde, die sich neben einigen Buschbäume zusammendrängten, um noch etwas Schatten zu finden. Diese Wiesen heißen auch Goldhaferwiesen nach der hauptsächlichen Grasart, die da zu finden ist, und golden schimmerten sie auch bei dem Sonnenschein zu uns herüber.

Der 3. Ausflugspunkt des heutigen Tages fiel dann gänzlich der Hitze zum Opfer. Schotten wurde auf den nächsten Tag verschoben, wenn es zwar nur wenig, aber doch kühler sein sollte. Mal schauen!

Dienstag, 22. August 23 Grünberg und Laubach

Es hat etwas abgekühlt, satte 27 Grad sind aber immer noch gemeldet. Doch hatten wir aus dem Vortag etwas gelernt, früh standen wir auf, frühstückten eine Spur schneller als sonst (aber nicht viel, ein gutes Frühstück muss im Urlaub sein) und kamen schon gegen 9.00 Uhr weg. Zuerst ging es nach Grünberg, das auch auf der Liste der besonderen Fachwerkstädtchen stand. Und wirklich, wieder ein Marktplatz vom Feinsten. Besonders schön ist hier auch wieder das Rathaus aus der Renaissance. Hier fallen besonders die acht geschwungenen Andreaskreuze im Giebel des Rathauses auf. Die steinerne Halle diente auch hier wieder als Markt- und Handeslsraum. Vor dem Rathaus steht der kreisförmig gemauerte Marktbrunnen, an dem besonders eine Bronzefigur auffällt, die gebannt in die Tiefe schaut. Ja, das macht wohl jeder so bei einem Brunnen. Die Tiefe und die Dunkelheit da unten erfüllen einen immer mit einem Schaudern.

Wobei der Grünberger Marktplatz noch eine Besonderheit hat: er macht nämlich groß Werbung auf einem riesigen Schild für etwas, was gar nicht mehr da ist, für eine Baulücke an der Ecke zur Marktgasse, wo heute ein großer Baum steht: da stand nämlich einst ein schmales Fachwerkhaus, und in diesem Haus, das Ende des 19. Jh. abgerissen wurde, soll Martin Luther übernachtet haben, als er am 29. April 1521 auf dem Rückweg vom Wormser Reichstag war. Und aus diesem abgerissenen Haus machen die Grünberger eine Touristenattraktion, das muss einem erst mal wieder einfallen. Zumal überhaupt nicht gesagt ist, dass er wirklich hier übernachtet hat. Durchgekommen durch Grünberg ist er auf seinem 360 km langem Heimweg nach Wittenberg sicher, aber alles andere steht in den Sternen. Erstaunlich, dass sie sich nicht noch Lutherstadt Grünberg nennen.

Dabei haben sie auch sonst noch einiges zu bieten. Neben dem Marktplatz gibt es noch den Winterplatz mit Stadtkirche (Besonderheit: die Kirche befindet sich im 1. Stock, darunter befindet sich im Erdgeschoss der Gemeindesaal. Das kann man auch von außen ganz deutlich an den Fenstern erkennen) und dem ehemaligen Brauhaus, das heute eine beliebte Adresse zum Heiraten ist: Hauptsache romantisch und altes Gemäuer! Dazu trägt neben der schmucken Fachwerkausstattung auch sicher der Löwenbrunnen davor bei, an dem man sich malerisch fotografieren lassen kann.

Und direkt hinter dem Winterplatz geht es abrupt 60 Meter in die Tiefe: in das wildromantische Brunnental. Hier fließt der Äschersbach, ein Zufluss der Wetter, und von diesem grünen Abhang hat die Stadt wohl auch ihren Namen: Grünberg. Auf dem Winterplatz steht noch das steinerne Brunnenhäuschen. Quellwasser aus unterirdischen Basaltspalten sammelte sich in zwei Teichen und wurde von dort mit einer Druckwasserleitung in das Häuschen auf dem Berg hochgepumpt. Von dort gelangte es durch ein Röhrensystem zu den öffentlichen Brunnen der Stadt. So kam die Stadt seit 1419 zu immer frischem Trinkwasser. Das Brunnental kam uns an so einem heißen Tag gerade recht. Unter den kühlen Bäumen ging es steil in die Tiefe zu den beiden Teichen (sehr romantisch!), dann den Äschersbach entlang bis zur Stadtmühle und schließlich kraxelten wir auf einem Waldweg wieder bergauf. Ein wunderbarer Spazierweg an einem so heißen Tag, denn das Brunnental wurde zum Naherholungsgebiet ausgebaut mit schönen Wegen und allerlei Animationen für Kinder (z.B. Wasserspielplatz) und einer Kneipp-Anlage, an der wir uns erfrischten.

Also Grünberg, muss ich sagen, ehrlich einen Besuch wert. Der Marktplatz war einwandfrei, sogar die Luther-Lücke durch einen Baum gut gefüllt, und das Brunnental wirklich grün-romantisch, durchaus einen Tagesausflug wert.

Auf dem Rückweg kamen wir noch durch den kleinen Ort Laubach im Vogelsberg. Ewald war bei einer Radtour 1972 schon einmal dort gewesen und wollte unbedingt das Schloss sehen. Da Laubach einen besonders schönen Schloss-Park besitzen soll, war ich mit einem Kurzbesuch einverstanden. Wir parkten hinter dem Schlosspark und gingen unter Bäumen auf schönen Wegen über gepflegten Rasen und vorbei an einem großen Teich zum Schloss: ein großes Schloss, ein richtiges Schloss, hätte ich nach all dem, was man mir in den letzten Tagen als Schloss andrehen wollte, nicht mehr erwartet. Leider konnte sich Ewald an überhaupt nichts mehr erinnern, dazu gestand er mir, dass er schon damals nach dem Radfahren viel zu fertig gewesen war, um sich das Schloss noch bewußt anschauen zu können… und nun ja, 51 Jahre sind ja auch eine gewisse Zeit, ich könnte mich danach sowieso an nichts mehr erinnern. Aber der Schlosspark war wirklich schön, das Schloss ein richtiges Schloss und zum Schluss entdeckten wir noch etwas, was uns doch sehr an einen Mammutbaum erinnerte, einen riesigen Mammutbaum. Eine kurze Frage an Google und Google antwortete: „Jeder alteingesessene Laubacher weiß, dass in der „Kuss-Allee“ im Laubacher Schlosspark schon vor Generationen unter dem imposanten Mammutbaum Pärchen die Gelegenheit genutzt haben, um Zärtlichkeiten auszutauschen.“ Ja, Google weiß halt alles! Sogar wer, wann, wen geküsst hat! Vor Generationen, versteht sich!